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Tröstliches Trotzdem

Von Bernd Nagel, Pfarrer und Studienleiter für Seelsorgeaus-, fort- u. -weiterbildung im Zentrum Seelsorge und Beratung der EKHN   

Zu Beginn der 80er Jahre war ich Oberstufenschüler und es war Krisenzeit. 1980 begann der Protest gegen die Startbahn 18 West am Frankfurter Flughafen aus Sorge um die Umwelt und eine Lebensperspektive in zerstörter Natur. Ebenfalls 1980 setzte der Golfkrieg zwischen Iran und Irak ein und verbreitete Schrecken. Zuvor bereits, 1979, zwang der Beginn des Krieges in Afghanistan 5 Millionen Menschen zur Flucht aus dem Land. Und 1981 demonstrierten 300.000 Menschen in Bonn gegen den Nato-Doppelbeschluss zur nuklearen Aufrüstung im Sinne der Abschreckungslogik.

In dieser Krisenzeit mit vielen äußeren Konflikten und Spaltungen im Inneren der Gesellschaft erhielt ich als Geschenk zum 19. Geburtstag ein Buch mit Predigten des Theologen Karl Barth.

Dieses trotzdem sei ein ermutigendes Wort gegen Belastung und Gefährdung

Gleich die erste Predigt, die in diesem Buch abgedruckt ist, spricht von einem kräftigen Trotzdem. Karl Barth predigte 1954 in der Baseler Strafanstalt über einen Vers aus dem 73. Psalm. Der Mensch, der den Psalm ursprünglich gebetet hat, sagt zu Gott: „Trotzdem bleibe ich stets bei dir; denn du hältst mich bei meiner rechten Hand.“ Barth predigt, dieses trotzdem sei ein ermutigendes Wort gegen Belastung und Gefährdung. Er spricht von dem großen Kummer einer Welt, die nicht in Ordnung ist, die vielmehr eine verworrene, dunkle und gefährliche Welt sei. Es kam mir vor, als predige Barth zu Beginn der 80er Jahre. Und es kam mir vor als predige er zu mir in meiner Angst und Sorge und Wut, als ich weiter las: „Und mag die Welt noch so dunkel aussehen, will ich nicht nachlassen im Widerstand, will ich gegen den Strom schwimmen, nicht verzweifeln, sondern Zuversicht und Hoffnung haben.“ Es hat mich getröstet, weil es mich nicht vertröstet hat auf ein ‚Später‘, weil es mich ruhiger, klarer und freier gemacht hat. Der Trost war spürbar in der Vergewisserung, dass ein Streben nach Wahrheit, Gerechtigkeit und Frieden in Gottes Sinn ist. Der Trost hatte sein Recht in der Zusage, dass Gott mich hält bei meiner rechten Hand.

Im eigenen Trotzdem steckt das Trotzdem Gottes

Im 73. Psalm spricht einer oder eine vor Gott die Verzweiflung darüber aus, dass der Zustand der Welt mit aller Rücksichtslosigkeit, Herrschsucht und Gewalt an der Existenz Gottes zweifeln lässt. Es wird nicht verschwiegen, dass die fürchterlichen Seiten der Wirklichkeit die Nähe Gottes verschließen können. Und doch folgt das Trotzdem im Psalm, mit dem das Aufbegehren laut wird, das Aufbegehren gegen die krisenhaften Zustände, das Aufbegehren gegen einen zulassenden Gott vielleicht auch und das Aufbegehren gegen den Zweifel ganz sicher. Dieses Trotzdem kann nur gelingen im Vertrauen darauf, dass Gott Halt gibt. Durchhalten, weil Gott hält. Bleiben, weil Gott bleibt. Im eigenen Trotzdem steckt das Trotzdem Gottes. So kann der Beter oder die Beterin des Psalms weitersprechen: „Wenn Leib und Seele Entbehrung erfahren, dass ich fast zugrunde gehe, so bist du, Gott, doch mein Trost und ein Teil von mir.“

Das Buch mit den Predigten habe ich noch griffbereit und den 73. Psalm sowieso. In den Krisen der 2020er Jahre lese ich darin, wenn ich sorge um oder für meine Seele und die Seele anderer, die mich fragen. Und wir suchen und finden miteinander Trostspuren, die beruhigen und ermutigen, klären und befreien.

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